Der innere Lügner

geschrieben von Steven Black:
Wir werden heute erkunden, wie innere Anteile die Wahrnehmung diktieren, brechen und beugen können, und wie sich die darauffolgende Dynamik im Leben niederschlagen kann. Also, liebe Leserin, lieber Leser, schnallt eure Sauerstoffgeräte um und nehmt einige tüchtige Atemzüge. Es könnte zu Schnappatmung kommen .. 🙂
Niemand mag Lügen und niemand findet Lügner sympathisch. Wenn wir jemanden dabei erwischen, dann hauen wir es ihm um die Ohren. Trotzdem ist Lügen relativ “normal”. Jeder tut das von Zeit zu Zeit, in bestimmten Situationen oder Umständen. Niemand ist so heilig, dass er ständig die Wahrheit sagen würde. Und vor allem nicht jedem. Die Gründe, warum wir nicht die Wahrheit oder vielleicht nur die Hälfte davon erzählen, variieren von Mensch zu Situation. Eine Lüge kann vielfältig genutzt werden. Sei es, um sich selbst in ein anderes Licht zu stellen, eine Situation zu relativieren oder andere Menschen damit zu beruhigen. Es gibt relativ harmlose Lügen, komplizierte, schwere und extreme. Es reicht von gesellschaftlich mehr oder weniger akzeptierten Lügen “mir geht’s gut, danke” (obwohl dem nicht wirklich so ist), bis hin zu komplexen Brechungen und Verdrehungen der Realität.
Warum wird gelogen?
Eine Lüge – ganz egal, wie harmlos oder krass – ist immer der Versuch, die Realität zu verdrehen. Sei es nun für einen selbst oder für andere (und oft beides). Bei den gesellschaftlich akzeptieren Lügen ala “mir geht es gut”, die wir meist jenen auftischen, die wir nicht so gut kennen, besteht der Zweck meistens darin, dass wir zum einen, andere nicht mit unserem wirklichen Befinden belasten wollen UND andererseits natürlich auch darin, dass wir meist nicht drüber sprechen möchten. Wenn es uns nicht gut geht, dann wollen wir uns damit nicht wirklich auseinandersetzen. Dieses Verhalten haben viele von uns so stark antrainiert, dass es irgendwann zu einer gesellschaftlichen, unausgesprochenen Übereinkunft wurde und somit “akzeptabel”. Wir betrachten das mittlerweile nicht mal mehr als Lügen, nichtsdestotrotz „biegen“ wir damit die Realität ..
Mir geht’s hier nicht um die alltäglichen, kleinen oder größeren Unwahrheiten – die laut Psychologen schätzungsweise 13 mal am Tag abgespult werden. Diese verändern nicht wirklich unsere eigene Realität oder die von anderen Menschen. Zumindest sind wir uns meistens im klaren darüber, dass wir lügen. Ich möchte zeigen – wie fortgesetztes Lügen dazu führt, dass aus diesem Verhalten ein innerer Anteil ins Leben gerufen wird, dessen primäres Skillset darin besteht, ein brillanter Lügner zu sein und wie dominierend so eine Unterpersönlichkeit werden kann. Und darüber sind wir uns sehr selten wirklich bewusst!
Auch wenn niemand Lügner mag, dieser Anteil gehört zum menschlichen Wächtersystem. Wie dominierend er wird, hängt davon ab, wie oft wir ihn verwenden, beziehungsweise, wie oft er im Einsatz ist. Das innere Wächtersystem dient grundsätzlich dem Überleben, wenn irgendeine Form von Bedrohung vorliegt. Und bedroht ist immer die eigene Realität – sei es physischer, mentaler oder emotionaler Natur. Der Innere Lügner in dir übernimmt, sobald du dir nicht mehr zu helfen weißt, überfordert bist oder verunsichert in eine Ecke gedrängt fühlst und erstarrst.
Lügen beginnt bereits in der Kindheit. Ob wir nun der Mutter erzählen, wir hätten die Hausaufgaben bereits gemacht oder dem Lehrer, dass wir die Hausaufgaben nicht machen konnten, wegen – wasauchimmer. Das Wertvolle an einer erfolgreichen Lüge, wenn du in deiner Kindheit damit durchkommst, ist die Erkenntnis – dass die Mutter, der Vater, die Lehrer oder sonst ein Erwachsener, nicht so allmächtig sind, wie wir als Kinder glauben. Dass sie nicht alles Wissen oder kontrollieren können. Diese Erkenntnis ist sehr wichtig, weil es dir mitteilt, dass du erstens eine eigene Persönlichkeit bist und zweitens, dass deine Gedanken und Absichten dir alleine gehören. Es gibt dir das Gefühl, dass du zumindest teilweise die Kontrolle über deine Realität hast.
Alles bisher gesagte ist nicht weiter dramatisch. Wirklich problematisch wird es erst, nachdem du gelernt hast, mit Lügen jeder brenzligen Situationen zu entkommen und wenn du es danach permanent verwendest.
Was sind innere Anteile oder Unterpersönlichkeiten, bzw. Subpersönlichkeiten?
All diese kleinen Stimmen in unserem Inneren, Gewohnheiten, bestimmte Muster oder Reaktionen von uns sind Unterpersönlichkeiten, die idealerweise alle miteinander mit der jetzigen menschlichen Identität “verschmelzen” sollten. Auf diese Weise ist eine breiter angelegte, flexiblere und natürlich mit mehr Erfahrung “gepolsterte” Persönlichkeit möglich. Die Realität allerdings ist oft, dass einige Teile eng zusammenarbeiten, einige mehr schlecht als recht, manche arbeiten gegeneinander, einige sind im Widerstand und andere wollen sich überhaupt nicht bewegen. Und dann gibt es welche, die traumatisiert und erstarrt sind, aufgrund früherer Erfahrungen – “unerledigte Geschichten”.
Einige dieser inneren Anteile stammen von früheren Inkarnationen, die wir gelebt haben und wodurch wir bestimmte Charaktereigenschaften, spezielle Talente und Fähigkeiten entwickelten. Wenn wir beispielsweise ein bestimmtes Talent haben, dann ist das nicht “einfach so” da. Es hat wahrscheinlich viele Leben gedauert, viel Praxis und Mühe, um dieses Talent so weit zu entwickeln, dass wir heute möglicherweise ohne viel Anstrengung dieses Talent nutzen können. Schau dir all diese “Wunderkinder” an, die mit 6 Jahren Klavier spielen wie ein Meister – das sind viele, viele Leben Klavier spielen und Training gewesen. Dann hast du einen inneren Klavierspieler, dessen du dich “bedienen” kannst ..
Diese inneren Anteile ermögliche spezifische Reaktionsmuster und Charaktereigenschaften, wie wir persönlich auf das Leben reagieren – ohne darüber bewusst nachdenken zu müssen. Im englischen wird das als “response pattern” bezeichnet. Diese “Antwortmuster” in uns sind menschliche Charakterzüge, die eine Seele sich speziell für ein Leben und für jede Inkarnation neu auswählt. Entsprechend ihrer Seelenaltersstufe und dem damit verbundenen Erfahrungs- und Entwicklungsstand, wählt sie ganz bewusst eine Kombination von Charaktereigenschaften aus früheren Leben, um mit verschiedenen Lebenssituationen fertig zu werden und um sicherzustellen, das bestimmte Erfahrungen auch gemacht werden können. Unsere inneren Anteile halten Erinnerungen, Identitätsmuster, Ansichten, emotionale Rückstände, Charakterzüge und Überlebensstrategien, die sich bereits in früheren Leben als hilfreich und erfolgreich oder behindernd erwiesen hatten.
Wir sind jedoch fähig, auch in diesem Leben – wie in allen Inkarnationen, neue innere Anteile zu erschaffen oder vorhandene zu verändern. Das ist quasi ein vollautomatischer schöpferischer Prozess, der sich alleine deswegen entfaltet, wenn wir bestimmte Ansichten, Gewohnheiten und Verhaltensweisen regelmäßig wiederholen und damit ausprägen.
Jede unserer vielen Subpersönlichkeiten oder Inneren Anteile besitzen eine spezifische Qualität und bestimmte Eigenschaften, die andere Teile in uns nicht haben. Und diese Anteile definieren sich immer als ein ICH, mit ganz bestimmten Anschauungen, wie auf das Leben oder Umstände zu reagieren ist. Sie alle leben in der menschlichen Psyche. Und wenn ich Psyche sage, dann beziehe ich mich auf eine Aussage von Varda Hasselmann, wonach die Psyche ein nicht-physisches Organ ist. Dort sind unsere Inneren Anteile gruppiert, um die komplexe und multiple Identität unseres Wesens, möglichst gut ausdrücken und unterstützen zu können. Es gibt auch Innere Anteile, die unsere Essgeschmäcker, sexuelle Vorlieben und vieles mehr beeinflussen und steuern, wo wir keine Sekunde drüber nachdenken. Die Inneren Anteile sind mit dem gesamten menschlichen, feinstofflichen und physischen Netzwerk verknüpft.
Und was man noch im Kopf behalten sollte – unsere Inneren Anteile können hilfreich, kontraproduktiv, aber im Extremfall auch richtig schädlich für die eigene Erfahrung sein. Manche ihrer Strategien können veraltet sein und für die jetzige Erfahrung nicht mehr nützlich. Innere Anteile sind meist ziemlich “kurzsichtig”, weil sie grundsätzlich nur eine ganz bestimmte Perspektive haben. Da kriegst du immer dasselbe, antrainierte Mantra ins Ohr gefurzt.
Innere Anteile sind die sogenannten “Deckblätter” der Seele. Uns ist nicht wirklich bewusst, wie komplex ein jeder von uns gebaut ist. Was es für spezielle Fähigkeiten erfordert, um ein menschliches Leben mit all den wählbaren Umständen, Themen, Dynamiken und Absichten von den seelischen Reichen auf die Erde, in die physische Wirklichkeit umzusetzen.
We are so cool, you have no idea how magical we are ..
Je nachdem welche Seelenrolle man zu erfüllen hat, welche Ängste man mit sich herumträgt, wie der Modus ist, mit dem man auf das Leben reagiert und es einordnet, wie die geistige Grundhaltung gewählt wurde, welches der Reaktionsmuster aktiv ist und welches Thema des jeweiligen Seelenalters gelebt wird, entscheidet über die Dynamik der Inneren Anteile und unzählige andere Variablen, wie sich uns das Leben präsentiert. Und all das ist nur möglich, weil wir uns mit solchen Inneren Anteilen oder Deckblättern der Seele ausstatten können.
Je öfter eine Seele inkarniert ist, desto mehr Erfahrung hat sie und je größer ist die Bandbreite, wie sie mit dem menschlichen Sein in Resonanz gehen und einen Bezug zu Umständen und Menschen herstellen kann. Und ermöglicht damit natürlich auch ein größeres Erfahrungsspektrum. Du kennst das vermutlich aus deinem eigenen Leben, dass es Momente gibt, beispielsweise im Zusammensein mit anderen Menschen oder wo Situationen auftreten, die andere überraschen oder nicht gleich verstehen, aber dir ist sofort bewusst, was vorgeht. Verstehst die psychologischen, emotionalen Zusammenhänge, ohne viel nachdenken zu müssen – du weißt es einfach. Du kannst es vielleicht nicht rational begründen, nicht mal ansatzweise erklären – but you know it. Du weißt es, weil da etwas in dir ist, was solche oder ähnliche Erfahrungen bereits gemacht hat.
Kommen wir wieder zurück zum inneren Lügner
Da ich mir vorgenommen habe, einen ganz speziellen inneren Anteil zu beschreiben und vorzustellen, möchte ich das von einer sehr persönlichen Ebene her – nämlich meiner, schildern.
Während wir durch unsere seelischen Entwicklungsstadien gehen, von Säuglingsseele, Kind Seele, Junge Seele, Reife Seele und Alte Seele, wählen wir je nach Absicht und Thema bestimmte innere Anteile oder “Deckblätter”, um dieses Leben zu gestalten. Ich bin keine Junge Seele, bei mir geht es unter anderem auch darum, “unresolved business” abzuschließen. Das bedeutet in meinem Inneren aufzuräumen. Aus diesem Grund nimmt man jene Teile mit, die in früheren Leben traumatisiert oder steckengeblieben sind. Bei mir ist das eine Innere Kind Thematik, die auf Erlebnisse in meiner Baby – oder Kind Seelen Erfahrung zurückzuführen ist. Die damit einhergehende Problematik hat mit Emotionen von Verlassenheit, Einsamkeit, Verrat, Ohnmacht, Hilflosigkeit, Desorientierung und Verbindungsschwierigkeiten zu tun.
Um diese Themen abzuarbeiten, muss ich sie ganz persönlich wieder erfahren. Dieser Innere Anteil, der dies erlebte, ist quasi die Matrix und die Blaupause, welche die Resonanz dazu erzeugt, damit diese Themen angezogen werden. Dazu wählte ich mir ein ganz bestimmtes Setting von Inneren Anteilen, die mir dabei behilflich sind, die Dynamik, das Drama, den Schmerz auszuhalten und zu balancieren, manchmal zu leugnen, wenn es zu heftig wird oder schlicht zu ignorieren. Das bedeutet, ich brauche ein sehr gutes Wächterteam, darunter einen guten Lügner ..
Dieser Innere Lügner ist aus mehreren Gründen wertvoll. Nicht nur, um gefährlichen Situationen zu entkommen, aber vor allem deswegen, weil der Lügner in dir dich glaubwürdig davon überzeugen kann, dass die Realität gar nicht so düster ausschaut (obwohl sie in Wahrheit sehr schwierig handzuhaben ist). So einen erfahrenen Lügner in sich zu haben, ist für viele Seelen und in einigen Inkarnationen Lebensrettend gewesen. Beispielsweise wenn du ein Spion gewesen bist, Soldat, mit der Amtskirche Probleme hattest oder sonstwelche schwierige Herausforderungen hattest – da war eine gute, glaubwürdige Lüge (Nö, hab ich nichts mit zu tun, weil .. – oder, das geht mich überhaupt nichts an) entscheidend. Wir sprechen hier nicht über Moral, sondern Überlebensstrategien ..
Als ich mein Licht in diesen menschlichen Körper eingeworfen habe, sollten gleich bei der Geburt die ersten Fixierungen für meine Themen auftreten. Ich wurde sofort nach der Geburt 3 Monate von meiner Mutter getrennt und unter Quarantäne gesetzt, weil in der Klinik Typhus ausgebrochen war. Das heißt, als Baby wurde ich von meiner Mutter verlassen – es spielt dabei keine Rolle, dass sie darauf gar keinen Einfluss hatte. Das ist es, wie ich mich als Kind damals fühlte und das setzt einen fetten, zellulären Imprint, der sicherstellt, dass ich mich immer wieder in meinem Leben, damit auseinandersetzen muss. Die Forscher der Bindungstheorie sprechen hierbei von einem “ungebundenen Kind”. Meine Mutter musste mich aufgrund wirtschaftlicher Verhältnisse 3 x weggeben und zwar im Alter von 1, 3 und 5, da sie arbeiten musste. Ich wurde also immer wieder verlassen und ich erlebte wechselnde Phasen von emotionaler Sicherheit und Unsicherheit.
Diese Umstände erzeugten also dieselben oder zumindest ähnliche Gefühlslagen, die mein Innerer Anteil hat und die ich in einer viel früheren Inkarnation bereits erlebte.
Mit 7 Jahren erlebte ich Mobbing in der Volksschule, wodurch eine heftige Phase von Unsicherheit und Desorientierung einsetzte. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte und habe ungefähr zu diesem Zeitpunkt begonnen, meine Innere Realität vollständig zu leugnen. Ich habe mich selbst und andere darüber belogen, wie es mir wirklich ging.
Der Lügner in uns kann nach Außen und nach Innen lügen ..
Wer ein Verlassenheitsthema hat, der ist sehr bedürftig nach Anerkennung und möchte unbedingt irgendwo dazuzugehören. Glücklicherweise ist einer meiner starken Inneren Anteile ein kämpferischer Rebell, der sich, je mehr ich in die Pubertät kam, immer deutlicher hervortat. Es war der Rebell in mir, der Kampfsport Unterricht nahm und damit mein Selbstwertgefühl aufpolierte. Es war der Rebell in mir, der abenteuerlustig und risikofreudig war. Und mein Rebell ging eine sehr starke Allianz mit dem Lügner ein und beide haben sich mit dem Teenager in mir verbunden. Mit ihrer Hilfe sollte ich problemlos Anschluss finden und Anerkennung. Das ist meine ganz persönliche “I don’t give a fuck about anything or anyone attitude”.
Mein Lügner hielt sich an den Glaubenssatz: “Ignoranz ist ein Segen”. Und mein Rebell ist starrsinnig, stur wie der sprichwörtliche Esel. Wenn der sich was in den Kopf setzt, dann geht der die Straße bis ans Ende runter – no matter what.
Mit 12 begann ich zu stehlen. Mit 13 wurde ich das erste Mal verhaftet, während ich in der Schulklasse saß. Mit 14 begann ich kleinere Einbrüche. Mit 15 begann ich zu kiffen und Trips einzuwerfen. Mit 16 war ich auf der Nadel. Mit 17 wanderte ich zum ersten Mal für 2 Jahre in den Knast.
Ich führte ein permanentes Doppelleben – einerseits mimte ich den “normalen Jungen”, der brav zur Schule ging. Andererseits lungerte ich ständig auf der Straße herum und traf mich mit Freunden, die auch nicht wirklich das waren, was man als “normal” bezeichnen würde. Wir haben uns gegenseitig erzählt, wie tough wir wären und wie cool. Und haben natürlich eine Menge irrer Sachen aufgeführt, um das unter Beweis zu stellen. Rückblickend betrachtet, umgab ich mich ständig mit durchgeknallten Leuten, die ähnlich wie ich, mit sich selbst nicht zurecht kamen und jeder war in einem bestimmten Zustand von innerer Verwahrlosung und Desorientierung. Das ist der Stoff, aus dem später Kriminelle und Drogenabhängige werden. Aber da fühlte ich mich zugehörig und anerkannt.
Diese Art von Leben sollte sich für mich bis zu meinem 40. Lebensjahr fortsetzen. Und wie vermutlich jeder unschwer sehen kann, war Lügen dabei eine essentielle Angelegenheit. Ob nun bei Polizeiverhören, Gerichtsprozessen, gegenüber meiner Familie, meinen Nachbarn oder Bekannten, die nicht wirklich wussten, was ich so den ganzen Tag über machte. Und hauptsächlich natürlich, die Lügen, die ich mir selbst erzählte ..
Gute Lügner sind Künstler! Sie sind fähig, die Realität zu ihren Gunsten zu beugen. Der Lügner in dir kann jedes Verhalten, und sei es noch so asozial oder ungesund, auf eine Weise rechtfertigen oder relativieren, damit du damit leben kannst.
Eine Lüge so zu erzählen, dass sie glaubwürdig rüberkommt, das erfordert viel Phantasie. Es braucht die Fähigkeit, strategisch und analytisch Denken zu können, Kombinationsfähigkeit und ein sehr, sehr gutes Gedächtnis. Es braucht die mentale Kapazität, alles auszublenden und zu unterdrücken, was die Lüge als eine Lüge entlarven würde. Zusätzlich benötigt wird ein schauspielerisches Talent, ein Feingefühl für die atmosphärische Dichte zwischen dem Lügner und der anderen Person(en), als auch die notwendige mentale Flexibilität, um aufkommende Zweifel über die Geschichte zu zerstreuen und wenn nötig, die Story neu anzupassen. Das kann nicht jeder, die Gefängnisse sind voller schlechter Lügner. Ich sollte es Wissen, ich hab’s gesehen ..
Der Lügner in uns ist nicht böse oder gegen uns gerichtet. Im Gegenteil, er stellt sicher, dass du, egal in welchen verheerenden Umständen oder Situationen du eventuell bist, dort überlebst. Deswegen lügt er dir die Hucke voll, dass das alles gar nicht so schlimm ist. Was auch immer notwendig ist, dich emotional überleben zu lassen. Damit ist der Lügner natürlich nicht grade hilfreich, wenn es darum geht, sich den Dingen zu stellen oder eine ehrliche Selbstanalyse durchzuziehen. Das trifft im übrigen auf das gesamte Wächtersystem zu. Es ist ein zweischneidiges Schwert – gleichzeitig hilfreich, wie auch verantwortlich dafür, die Dinge noch mehr eskalieren zu lassen.
Wer lügt, der kann nicht zu seiner eigenen Wahrheit stehen. Damit man das kann, benötigt man eine relativ sichere, innere Realität.
Mein “I don’t give a fuck about anything or anyone Verhalten” hat es jedoch ermöglicht, dieses verunsicherte, verängstigte, einsame Kind in mir, durch all diese Erfahrungen zu bringen und mich bis zu dem Punkt zu begleiten, wo ich fähig wurde, mich meinen Inneren “Dämonen” zu stellen. Ganz egal, ob ich im Gefängnis war, Beziehungen in die Brüche gingen, Freunde mich verrieten (und, und, und ..) mein Lügner hat es regelmäßig geschafft, meinen Fokus davon abzulenken, mir irgendwelche Relativierungen serviert oder Bilder suggeriert, womit ich halbwegs leben konnte.
Durch die Drogen und diese Inneren Anteile wurde sichergestellt, diese Gefühle und Emotionen in mir zu unterdrücken, zu leugnen, zu ignorieren und nicht fühlen zu müssen, solange ich dazu nicht fähig war.
Aber nun genug von mir und meiner toten Vergangenheit
Diese persönliche Schilderung soll lediglich zeigen, in welchem extremen Ausmaß der innere Lügner die eigene Erfahrung beeinflussen kann. Es spielt keine Rolle, ob das mit Drogen zu tun hat. Wenn du einen gut entwickelten Lügner in dir hast, dann kann er dich in ungesunden Beziehungen festhalten, deine berufliche Situation verschleiern oder relativieren (wenn du dich darin unwohl fühlst, weil beispielsweise dein Chef ein Choleriker ist und ständig auf dir rumtrampelt), also erzählt dir dein Innerer Lügner irgendeine Geschichte, um das Verhalten des Arbeitgebers zu relativieren.
Der Innere Lügner kann dir nahezu alles schön reden oder mit süßem Honig verschmieren und jedwede Anstrengung, dein Leben zu verändern erschweren. Vielleicht geht er dafür auch eine Allianz mit dem inneren Kritiker ein, der dich damit hämmern wird, dass du sowieso unfähig bist, dich zu ändern.
Der Innere Lügner kann sich auf sehr unterschiedliche Weise zeigen. Er kann als Stimme auftreten, als Impuls, als Emotion, als eine bestimmte Überzeugung, als die vielgerühmte “Intuition” oder als dein “Bauchgefühl”. So ist das im übrigen auch mit allen anderen, Inneren Anteilen.
Ich habe meinen Inneren Lügner nach etwa 3, 5 Jahren EFT quasi gekillt. Es war damals das einzige Werkzeug, das mir zur Verfügung stand und ich war ausreichend motiviert. Ich habe konsequent alle möglichen Verhaltensweisen beklopft, die ich an mir ändern wollte. Das war enorm anstrengend, aber an seiner Stelle ist ein Teil gemorpht, der gnadenlos alles untersucht und nüchtern analysiert. Teilweise ist das allerdings auch eine kleine Spaßbremse, wenn dieser Klugscheißermodus läuft. Aber ich möchte es gar nicht anders haben. Lieber Spaßbremse, als sich selbst zu verarschen.
Jetzt kommt etwas sehr wichtiges über die Inneren Anteile
Sie werden dein “Auto” fahren, solange du nicht genug Bewusstheit über dich selbst entwickelt hast oder wenn es gar nicht um Bewusstheit geht. Dafür sind sie ja da. Je klarer du dir über dich selbst wirst, wenn du erkennst, warum du etwas tust, warum du dich wie fühlst, was hinter deinen Impulsen liegt – je besser du dich also kennst, wirklich kennst und den Inneren Krieg in dir realisierst, desto eher ist es möglich, deine Anteile, ihren Modus Operandi und damit deine eigenen Verhaltensweisen zu verändern und Frieden mit dir selbst zu schließen. Wenn du Bewusstheit und Klarheit über dich selbst anreicherst, dann ist das ein Gamechanger.
Wir sind keine Opfer unserer Anteile, sie sind unsere Unterstützung und veränderbar – auch wenn das nicht unbedingt ein leichtes Unterfangen ist. Aber daran zu arbeiten ist sehr wertvoll und das wird auch nur der tun, der sich dazu motiviert fühlt.
Den Modus unserer Anteile zu verändern ist keine rein mentale Angelegenheit. Aktives und bewusstes Fühlen ist bei der Untersuchung der eigenen seelischen Feinmotorik, der Unterscheidung, welcher Persönlichkeitsanteil grade, welches Bedürfnis hat und warum, unerlässlich. Mit Denken alleine kommt man nicht hinter die Komplexität des eigenen Innenlebens und der Dynamik der Zusammenhänge. Ohne Denken geht es allerdings auch nicht ..
Irgendwann beginnst du zu erkennen, an welchen Momenten du im Leben, welche Persönlichkeitsaspekte in dir reagieren. Sobald du unterscheiden lernst, wann du mit deinem Wächterbewusstsein agierst, wann du mit deinem inneren, verletzten Kind identifiziert bist, bei welchen Situationen dein Innerer Kritiker herumwütet oder in welche Erfahrungsrollen du sonst noch fällst – wenn dieser Tag kommt, wo du das wirklich verstanden und begriffen hast, dann ändert sich einiges in deiner Perspektive und du hast auf einmal einen Riesensprung vorwärts gemacht.
Aufarbeitung ist ein notwendiger Bestandteil, aber man kommt nicht umhin, konkrete Schritte zu tun, Entscheidungen zu treffen und neue Erfahrungen diesbezüglich zu machen. Die Komfortzone immer wieder zu verlassen, so gut es uns jeweils möglich ist. Wenn wir glauben, wir könnten uns verändern, ohne dass wir uns aus dem gewohnten Trott rausbewegen – well, dann hat uns vermutlich der Innere Lügner überlistet.
Die Frage bei Inneren Anteilen ist immer – wer hat die Führung? Wer fährt grade das “Auto”? Wenn du, als die Hauptpersönlichkeit nichts in dir hinterfragst oder keine Verantwortung übernimmst, dann gibt es nur die Inneren Anteile und keine andere, innere Instanz. So hat das lange Zeit für die meisten von uns funktioniert. In dem Fall wird man hin und her geworfen von diversen Gelüsten, Bedürftigkeiten, Impulsen, die mehr oder weniger sehr unbewusst vorgehen und mit denen man sich einfach identifiziert. Dann sind wir einfach so und wenn uns die dicke Kelle trifft, reden wir über “Schicksal”, “Fügungen”, irgendwelche “höheren Mächte”, “Gott” oder wasauchimmer. Irgendjemand oder irgendwas muss ja verantwortlich sein ..
Wir leben jetzt in einer Zeit, wo bei einigen Menschen das so nicht mehr funktioniert, weil die Seele sich einmischt und uns regelrecht dazu zwingt, einen nüchternen, harten Blick auf uns selbst zu werfen. Als würde sie sagen: “Come on, grow some balls and clean up your mess”.
Es ist ohne Zweifel eine ziemliche Herausforderung, sich selbst ehrlich zu untersuchen. Und noch schwieriger ist es, auf den Boden, auf die Wurzeln zu stoßen. Die Wahrheit über sich selbst sehen, das mag niemand (ich übrigens auch nicht). Es kostet viel Zeit, Mühe und immer wieder Überwindung. Da ist oft so viel Bullshit und Mindfuck versammelt, unglaublich.
Die wirkliche Herausforderung in unserem Leben ist nicht die Welt da draußen, sie liegt in uns drinnen.
Until next time same station ..
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© Steven Black
Alle selbstgeschriebenen Artikel auf meiner Website dürfen bei Nennung des Autors und Linksetzung der Website, gerne rebloggt und weiterverteilt werden. Ausgenommen davon sind Gewerbliche Interessen, wie etwa einen dieser Artikel in diversen Medienpublikationen zu veröffentlichen, dies bedarf der Genehmigung des Autors.
Hat dies auf myelixirch rebloggt.
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Wunderbarer Text, manchmal sollte man sich Fragen, warum man vieles im Leben mitmachen musste…
Vielleicht, um anderen Mut zu machen, ihn zu ermutigen, ihm Kraft zu geben!
Die beste Schule ist das Leben, der beste Therapeut, einer der vieles „erleben“ durfte.
Steven Black, danke, solche Menschen brauchen wir in der jetzigen Zeit, Hochachtung für deine Ehrlichkeit.
Viele werden dadurch, wenn das Leben das er führte nicht so „schön“ war denunziert, aber hier sieht man, das es jemand geschafft hat, dass sollte Mut machen.
Vor allem auch die Artikel, die hier geschrieben werden, wertvoll für denjenigen der es erkennt.
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Hallo Ella,
Ich danke dir für deinen freundlichen Kommentar! 🙂
lg,
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Sprachlos. Dankbar. Tief berührt. Auch wenn mir deine Texte manchmal zu lang sind (ich will ja ehrlich sein 😉 ) bei diesem bin ich drangeblieben und er hat mir noch einmal mehr gezeigt, wo ich mich gerade befinde.
great blessings
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Hi Sabine,
Ich wünschte, meine Texte könnten kürzer sein. Dann müsste ich nicht solange drauf rumkauen .. ^^
Das Problem ist, diese Themen wo ich dran bin, kann ich nicht kürzer schreiben – dann wären sie unvollständig. Und ich denke auch, man kann es sonst nicht ganz verstehen.
Danke für deinen lieben Kommentar!
lg,
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Das wollte ich damit nicht sagen 😀 deine Texte sind alle Wundervoll und auf den Punkt, und manchmal braucht es dafür eben die Worte die es braucht.
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😉
Liebe Grüße
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„Wir schaffen das, ich versprech’s“
Fällt das auch darunter, lieber Steven?
Ich glaube, der Teil glaubte selbst, dass ich / wir es schaffe/n. Jetzt nicht mehr.
Hm .. .. also ob es ein Abarbeiten wird oder was anderes, werde ich (als Seele) vielleicht erst wissen, wenn das Leben vorbei ist .. .. vielleicht ist es das auch nur für die Seele und für den Menschen ist das Leben einfach nur sch.. gelaufen .. ..
Liebe Grüße
Veron
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Hi Veron,
In dem Fall glaub‘ ich nicht – wie du selber sagst, der Teil glaubte das. Und vielleicht hat er ja auch Recht ..
Im MOMENT mag das vielleicht anders aussehen, aber das kann sich wieder ändern.
Abarbeiten ist womöglich nicht gut genug ausgedrückt – gemeint habe ich, dass das Thema persönlich erfahren und eine Lösung für sich selbst gefunden werden „muss“. Manchmal kann das einfach „nur“ Akzeptanz sein ..
Und ja, manches werden wir erst dann erfahren oder verstehen, wenn wir den Löffel hier abgeben – bis zum nächstenmal .. 🙂
liebe Grüße zurück
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„vielleicht ist es das auch nur für die Seele und für den Menschen ist das Leben einfach nur sch.. gelaufen “
Mit solchen Gedanken habe ich mich auch schon beschäftigt, ich sage nein, dass Leben läuft nie Sch…., alles passt, egal was wir im Leben so erleben.
Meine Agenda des Lebens war in etwas so wie beim Steven, viel erlebt, wobei ich es mittlerweile, als Bereicherung ansehe, am Kollaps des Lebens angekommen, öffnete sich bei mir etwas. Farben, Bilder, Visionen kamen,ich dachte ich werde verrückt.
So fing ich an, mich mit Spiritualität zu beschäftigen, wobei ich als Kind schon Visionen hatte, die wahr wurden.
Mittlerweile habe ich mich mit allem ausgesöhnt, war harte Arbeit aber es hat sich gelohnt.
Ich stehe wahrlich schon mit einem Bein, in der anderen Welt und ich bin dankbar dafür, dass ich mit Gewalt in die Spiritualität gestossen wurde.
Mittlerweile lebe ich mein Leben und meine Spiritualität ganz normal, weil es gehört einfach zu mir.
Das Schönste war irgendwann erlebte ich die Hochzeit, ganz in Rot, auch sah ich im Traum viele Einweihungen, man wird geführt und wird nie alleine gelassen.
Egal was ich im Leben erlebte, mein Urvertrauen habe ich nie verloren, dass ist es was mir die Kraft gab.
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Hi Ella,
Schöner Kommentar. Und ja, in die Spiritualität werden wir tatsächlich irgendwie gestossen – hätten wir keine unliebsamen Zwischenstösse mit der Realität und Schmerz, wir würden keine wirkliche Tiefe in uns entwickeln können.
lg,
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