Tatort Familie

geschrieben von Steven Black:

Ich möchte voranstellen, dass es sich hier nicht um eine Art Elternbashing geht, sondern um die Beleuchtung einer bestimmten Dynamik, die mehr oder weniger in uns allen abläuft. Bei einigen von uns krasser, bei manchen vielleicht weniger stark vorhanden, aber frei davon ist niemand. Die Rede ist von Scham und die Angst vor der Scham, ein unglaublich riesiges Thema und immer noch sehr tabuisiert. Man versuche einmal, in einem Gespräch unter Freunden oder Bekannten, das Thema auf Scham zu lenken – du wirst feststellen, dass das nicht grade willkommen ist.

Die Erfahrung von Scham haben wir alle schon gemacht und wiederholt erlebt, sie gehört zu einem existentiellen Grunderleben des Menschen. Scham ist grundsätzlich nichts schlechtes, sie ist maßgeblich für die sozialen Prozesse in unserer Gesellschaft verantwortlich und definiert, auf welche Weise wir miteinander umgehen. Scham ist die gefühlsmäßige Wahrnehmung von richtig oder falsch, und wenn wir in einer gesunden Beziehung mit unserer Scham sind, dann gibt sie uns Wahlmöglichkeiten und hilft beim erkennen, wo Grenzen existieren und eingehalten werden sollten. Wenn ich beispielsweise jemandem unverfroren ins Gesicht lüge und dabei ein Schamgefühl in mir aufsteigt, dann mag ich mich zwar unschön Verhalten haben, bin aber immerhin noch fähig, den inneren Kompass wahrzunehmen und das kann mir dabei helfen, dieses Verhalten zu korrigieren.

imageScham beginnt schon sehr früh, zu einer Zeit, wo wir noch rein fühlende Wesen, ohne mentale Prozesse gewesen sind. Zu einer Zeit der frühkindlichen Erfahrung, wo wir krabbelnd beginnen, die Welt um uns herum neugierig zu untersuchen und spielerisch zu entdecken. Unsere Eltern beklatschen noch jeden Pups, den wir stolz präsentieren und freuen sich über jeden Schritt, den wir machen ohne hinzufallen. Dass wir alles mögliche erst mal in den Mund nehmen wollen, quittieren sie lächelnd und geduldig rücken sie die Tischdecke zum x ten Mal wieder zurecht, an der wir ständig rumzupfen. Wir finden das nämlich ganz toll, diese Entdeckung, wenn du irgendwo ziehst, dann passiert irgendwas – das ist spannend und gehört zum ersten Erlebnis von Selbstwirksamkeit.

Irgendwann kommt aber unweigerlich der Tag, wo die Eltern eher genervt darüber sind, wenn wir bei jeder Gelegenheit rumpupsen und auch noch mächtig stolz dabei lächeln. Sie finden es auch längst nicht mehr so lustig, ständig Tischdecken oder andere Sachen vom Boden aufzuheben und sind dazu übergegangen, stirnrunzelnd und vielleicht mit ärgerlicher Stimme “lass das”, “hör auf damit”, “das tut man nicht” zu sagen. In dieser Zeit sind die Eltern die Vermittler von Realität, sie sind geradezu eine Verkörperung von Realität. Unsere Wahrnehmungsspektrum zu dieser Zeit läuft komplett über den Emotionalkörper und ist ganz simpel: Wenn wir uns gut fühlen, dann SIND wir gut. Fühlen wir uns schlecht, dann SIND wir schlecht. Wir sind dann buchstäblich die Erfahrung von gut oder schlecht.

Da geben wir also grade voller Stolz einen Pups von uns, schauen erwartungsvoll Richtung Vater/Mutter und müssen enttäuscht feststellen, dass anstelle von Lob und Bejahung, Laute der Verdrießlichkeit auf uns zukommen. “Was? Das war nicht gut?” Sogleich geben wir uns noch mehr Mühe und wollen einen monumentalen, das ganze Universum einhüllenden Pups produzieren – was vielleicht nicht wirklich gelingt, aber wir wollen uns die Anerkennung für die Anstrengung einheimsen. Wenn wir dann bei diesem Pups zusammengekniffene Augenbrauen, begleitet von einem missbilligenden Blick bemerken, dann fühlt sich das ganz und gar nicht gut an. Kriegt man noch ein “Pfui, das tut man nicht” dazu serviert, fühlt es sich noch schlechter an. Das Kind versteht die Welt nicht mehr. Wo ist sie hin, die freudige Beklatschung für seine unglaublichen Fähigkeiten? Und es fühlt Scham, es weiß nicht wieso oder warum, aber irgendwie scheint da ein großes Mysterium zu existieren, warum seine Eltern jetzt anders reagieren. image

Was hier passiert ist eine Kollision zwischen zwei Realitäten. Die Realität des Kindes, welches lautes pupsen bisher als Quelle der Lust und allgemeinen Heiterkeit erlebte, kollidiert mit der Realität der Eltern, die das plötzlich nicht mehr lustig und nicht mehr gut finden. Als Kinder sind wir darauf angewiesen, dass unsere Eltern unsere Realität bestätigen. Passiert dies nicht, wird das Kind seine Realität zugunsten jener der Eltern aufgeben. Aufgrund der einfachen Tatsache, dass unsere Eltern DIE Autorität von Realität für uns sind, geht es in aller Unschuld davon aus, dass seine Wahrnehmung von der Realität falsch ist. Es übernimmt einfach die Realitätsvermittlung der Eltern und lernt – “okay, pupsen ist vielleicht doch nicht so gut”. Dieses Schamgefühl und die elterliche Realitätsvermittlung formt Lernprozesse und führt natürlich unweigerlich zu konditioniertem Verhalten. So natürlich und normal das ist, führt es jedoch zu einer ersten und völlig unbewussten Ablehnung der eigenen Gefühlsrealität.

Wenn nun nach und nach die Ausbildung des Mentalkörpers erfolgt und dadurch die Entwicklung der ICH Identität vorangeht, beginnen wir nicht mehr die Erfahrung zu sein, sondern erleben die Wahrnehmung, eine Erfahrung zu haben. Unser Erleben der Realität verändert sich, sobald wir eine mentalkörperliche Beziehung zur Realität aufbauen. Das hat Konsequenzen, wenn es  – und zwar unweigerlich, immer wieder zu Kollisionen zwischen der eigenen Realität und der Realität der Eltern kommt. Dann kommt es zur mentalen Bewertung der eigenen Gefühle, innerhalb der Realitätswahrnehmung der Kindes. Dabei wird die elterlichen Kritik internalisiert – also ins eigene Bewusstsein hineingenommen, was mit der Zeit zu einem inneren Kritiker führt. Je nachdem, wie stark wir persönlich Kritik ausgesetzt wurden, definiert dies die Vehemenz und Stärke des inneren Kritikers.

In diese Box – und weil wir uns momentan mit Scham auseinandersetzen – nennen wir sie die Schambox, kommt alles an Beurteilungen, Vergleichen, Strategien und mögliche Verhaltensmuster hinein, wie man mit dieser Scham umgehen könnte. So gut wie alles, was auch nur annähernd mit dem Gefühl Scham in Verbindung steht – das wiederum hat Konsequenzen auf das Gefühlserleben von Scham an sich. Weil es mit überproportionaler Bedeutung überladen wird.

etikettWas zuvor nur ein Gefühl war, dass sich einfach nicht gut anfühlte, bekommt nun ein Etikett und damit einen speziellen Namen. Künftig wird jede Erfahrung und alles was mit diesem Gefühl in Verbindung steht abgespeichert. Vergleiche werden gezogen und eine Bewertung folgt der anderen.

Es kommen mit der weiteren Entwicklung Strategien hinzu, die wir als hilfreich befinden, um mit dem betreffenden Gefühl umgehen zu können. Mit der Zeit verdichten sich mehrere Erfahrungen von Realitätskollisionen und führen zu dem falschen Rückschluss, dass irgendwas an dir falsch sein muss – das wiederum führt zu einem mehr oder weniger starken inneren Kritiker und damit zu enorm viel Energieaufwand, um den eigenen Wert unter Beweis stellen zu wollen. 

Die Psychologen sind sich noch nicht ganz einig darüber, ob Scham angeboren oder nur anerzogen ist. Da gibt’s heftige Diskussionen drüber. Ich persönlich hab’ die Ansicht entwickelt, dass es großteils anerzogen ist, aber ebenfalls “angeboren” – zumindest in dem Sinne, weil jede Geburt zu einer Erbschaft der Ahnenproblematiken führt, die in der DNS gespeichert wird.

Scham ist großteils etwas erzeugtes, etwas das wir gelernt haben und entsteht hauptsächlich über Kritik. Die Kritik bringt aber auch das ererbte Schamgefühl auf, dem unsere Vorfahren untergekommen sind – daher ist es “natürlich” und deswegen ist es unvermeidbar Scham zu erleben. Weil die Scham bestimmte Hemmschwellen in uns erzeugt, die für das menschlich-gesellschaftliche Zusammenleben durchaus Sinn machen, dass sie existieren, kann man die Erfahrung von Beschämung und Scham als eine Energie betrachten, die dem gesellschaftlichen Miteinander und dem Zusammenleben dient – was immer zu einer Art Regelwerk führt, was angemessen, akzeptabel oder tolerierbar ist und annehmbares Verhalten reglementiert. Und das sind, von Jahrhundert zu Jahrhundert völlig unterschiedliche Regeln  ..

Angenommen, ich texte aufdringlich eine attraktive Frau zu, weil ich sie unbedingt in die Kiste schleppen will, aber die Frau gibt mir mehrere, eindeutige Signale, dass sie überhaupt nicht daran denkt, dann werde ich das zu einem bestimmten Zeitpunkt “hören können”, weil ein Gefühl sich in mir meldet, das mir eine Grenze signalisiert, die ich im Begriff bin grade zu überschreiten. Das ist der Fall, wenn ich im Kontakt bin mit einem gesunden Schamgefühl.

Eine ungesunde, toxische Form der Scham wäre, wenn es mich so hemmen würde, dass ich mich nicht mal traue, irgendeine Frau anzusprechen. Schamlosigkeit ist wiederum die krasseste Form, die man entwickeln kann, um mit Scham umzugehen. Weil es dich komplett von dir selbst und anderen Menschen entfernt. Du wirst dann unfähig, in sozialen Beziehungen richtig und falsch zu unterscheiden, weil kein Kompass mehr dafür existiert.

Ein Beispiel:

Nehmen wir an, es gibt da einen 5 jährigen Jungen, in einem idyllischen Dorf, irgendwo in der Bergpampa Österreichs. Es ist Sonntag, alle in der Familie sind erzkatholisch und zur Feier des Tages, soll der 5 jährige Junge seine neuen Schuhe zur Kirche anziehen dürfen. Vorher aber muss er der Familie zeigen, dass er die Schuhe selber zubinden kann. Onkel, Tante und die Mutter stehen um ihn herum, auch die Schwester und vier andere – jüngere Kinder, sind zugegen. Der Junge ist ganz furchtbar aufgeregt und freut sich schon darauf, die neuen Schuhe tragen zu dürfen. Die Schuhe selber zugebunden hat er bisher zwar noch nicht, aber er gibt sich Mühe, alles nachzumachen, so wie man es ihm vorzeigt. Es stellt sich heraus, dass der Junge Schwierigkeiten damit hat und sich dabei etwas ungeschickt anstellt.

“Komm schon, das schaffst du schon” – feuert sein Onkel ihn an. Dem Jungen ist es sehr peinlich, dass er das nicht sofort kann und gibt sich extrem viel Mühe, die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen, aber dadurch wird er nur nervöser. Und er wird immer ungeschickter. Aus dem anfänglichen “das schaffst du schon” wurde ein “das gibt’s doch nicht, dass du das nicht kannst”. Die anderen Kinder lachten und freuten sich, weil die Zeit zum in die Kirche gehen inzwischen schon vorüber war (keins der Kinder war interessiert daran) und starrten fasziniert auf die verzweifelten Versuche des 5 jährigen Jungen und lachten, wenn der Schuhknoten wieder nicht passte. Der Junge fühlt sich ausgelacht und wäre am liebsten im Erdboden verschwunden. Der Onkel und seine Mutter entschieden, dass solange weitergemacht wird, bis der Junge das konnte.

Es folgten genervte, ungeduldige Kommentare, warum er denn so schusselig sei, er wäre doch sonst so ein kluger Junge. Inzwischen hatte er einen hochroten Kopf, fühlte sich gedemütigt und schämte sich furchtbar. Und der Junge fühlte eine Wut auf sich selbst, weil er das so schwierig fand und es nicht konnte. Emotionale Wellen rauschten durch ihn durch, die so stark waren, dass er kaum mehr den Schuh, das Schuhband, noch sich selbst fühlen konnte. Nach geschlagenen 3 Stunden hatte er es endlich geschafft.

Dieser Junge wurde weder geschlagen, noch sonstwie bösartig behandelt. Aber diese Erfahrung hat eine tiefe, emotionale Wunde in dem Jungen hinterlassen. Diese Erfahrung hat der 5 jährige zwar schnell verdrängt, aber Zeit seines Lebens sollte die emotionale Welle von diesem Erlebnis, immer wieder hochkommen. Es hat ein Muster in ihm angelegt, dass bei jeder “unpassenden Gelegenheit” an die Oberfläche kroch. Und regelmäßig, jedoch unbewusst, verurteilte dieser Junge sich selbst künftig bitterlich dafür, nicht den Erwartungen zu entsprechen. 

Aufgrund des natürlichen Verdrängungsmechanismus des Mentalkörpers, der ein notwendiger Teil bei der Herausbildung unserer Ich Wahrnehmung ist, wurde die Erfahrung verdrängt und tief ins Unterbewusstsein abgespeichert. Dieser Verdrängungsmechanismus des Mentalkörpers ist hilfreich und notwendig, weil wir sonst von der schieren Menge an heranstürmenden Informationen hoffnungslos überwältigt würden, hätten wir nicht die Fähigkeit, mit Hilfe der Verdrängung und Unterdrückung einzelne Schubladen zu erschaffen, um all diese Informationen zu sortieren, zu verarbeiten und abzuspeichern.

Ein Problem ergibt sich erst dadurch, wenn dieser Mechanismus dafür eingesetzt wird, um die emotionale und geistige Realitätserfahrung zu leugnen. Denn alles was wir von uns abspalten, leugnen, verdrängen, hat die Neigung umso stärker in Erscheinung zu treten.

Die Wurzel der emotionalen Scham ist Kritik

Durch unsere Geburt werden wir in ein elterliches Glaubensfeld hineingeboren, mit einem ganz spezifischen Spektrum an Überzeugungen und Annahmen über das Leben, die uns als junger Mensch prägen wird. In diesem Lern – und Anpassungsprozess werden wir unweigerlich einige dieser Regeln übertreten, Gefühle, Handlungen und Worte ausdrücken, die diesen Überzeugungen widersprechen und wofür wir Kritik oder Strafen ernten.

Im Laufe des Erziehungsprozesses, den wir vom Kleinkind, Kind und jungen Erwachsenen durchlaufen, werden sich einige solcher Situationen ergeben, die wir dann gefühlsmäßig und geistig als schmerzhaft erlebten.

“Warum kannst du das nicht?”

„Das kriegst du sowieso nicht hin.“

”So wird nie etwas richtiges aus dir werden.”

“Hör auf, mir auf die Nerven zu gehen!”

„Du bringst Schande über die Familie.“

„Du hast zwei linke Füße.“

„Daran bist nur du Schuld.“

„Dir fällt immer nur Blödsinn ein.“

„Du bist einfach nur zu faul.“

“Sei endlich ruhig!”

„Wenn du mal groß bist, dann …“

“Du musst das besser machen.”

“Streng dich einfach mehr an”.

“Das ist nicht gut genug.”

“Schäm dich”.

Undsoweiterundsofort – wir kennen alle solche oder ähnliche Sätze.

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Dr. med. Jochen Peichl, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, schreibt in seinem Buch “Rote Karte für den inneren Kritiker” dazu:

“Psychologen wie der US Amerikaner Jerome Kagan schätzen, dass ein Kind mit 14 Monaten, etwa alle 9 Minuten, ein Verbot oder Kritik von den Eltern hören würde. An anderer Stelle habe ich gelesen, dass ein Kind bis zum 5. Lebensalter schon mehr als 40 000 mal getadelt wurde – ca. 666 mal im Monat und 22 mal am Tag.”

Ich schätze, dass sollte uns eine gute Vorstellung davon vermitteln, wie viel Kritik ein jeder von uns eingesammelt hat. Und zwar in einer völlig normalen Familie, ohne Schläge, ohne sexuellen Missbrauch und andere massive, seelische Missbräuche. Die Wurzel der emotionalen Scham ist Kritik, die wir von unseren Eltern und anderen Menschen, im Laufe unserer Entwicklung zu hören kriegen. Wenn Scham in uns aufsteigt, hängt es sehr davon ab, wie stark wir kritisiert wurden und wie sehr wir uns selbst kritisieren, wie wir Scham dann ausdrücken und erleben.

Es ist völlig normal, dass unsere Eltern die Entwicklung kommentieren, die wir als Kinder machen. Sie weisen uns auf unsere Fehler und Erfolge hin, die wir in ihren Augen haben und kommunizieren das mit Lob, Kritik oder Strafe. Als Kinder erleben wir unsere Eltern in verschiedenen und teilweise widersprüchlichen Zuständen, wo die liebevolle, nährende Mutter, sich manchmal zu einer abweisenden, schlecht gelaunten Mutter verändert. Einer Mutter, die mit uns schimpft, weil wir angeblich irgendwas falsch gemacht haben. Oder ein Vater, den wir manchmal als liebevoll, manchmal als strafend erleben – und vielleicht haben die Eltern uns manchmal auch körperlich gezüchtigt.

Im Laufe unserer Entwicklung erleben wir alle, wie unsere Eltern durch Liebe, Lob, Kritik, Beschämung, Ablehnung, Schuldzuweisungen oder Strafe auf uns einwirken und uns damit formen. Das ist unvermeidlich und wenn wir niemanden haben, der uns beibringt konstruktiv mit Kritik umzugehen, hat es Auswirkungen auf unser Leben als Erwachsene.

Wir Menschen schämen uns für unglaublich viele Dinge und unsere ganze Gesellschaft ist geradezu durchtränkt mit toxischer Scham. Es läuft vollkommen unbewusst in uns ab. Der normale Blick ins Schaufenster, wo wir kritisch unser Spiegelbild und unsere Figur, Frisur, Gesicht betrachten – die Wurzel davon liegt in der Scham, weil irgendein Teil von uns sich für das Aussehen schämt. Vielleicht sind wir nicht so schön, wie andere, nicht so muskulös, nicht so sexy, haben nicht so viel Busen oder einen kleineren Penis -wie andere. Sind vielleicht größer oder kleiner wie andere und all die anderen, tausende von Vergleiche, die wir in jeder Hinsicht anstellen. Niemand ist wirklich frei davon.

Jedesmal, wenn wir dem Glauben anheim fallen, etwas nicht zu können, nicht die Fähigkeit zu haben oder nicht intelligent genug zu sein, nicht dieses oder jenes produzieren zu können, werten wir selbst uns regelmässig ab. All dies wird letztendlich von der unbewussten Scham in uns verursacht, die mit der quälenden Befürchtung zusammenhängt, wir würden nicht genügen. Diese Angst hängt mit einem Kindanteil zusammen, der in diesem Erleben “steckengeblieben” ist. Dieser innere Kindanteil glaubt das tatsächlich und ist extrem fixiert auf seine irrationalen Vergleichungen mit anderen Menschen, Situationen, Umständen, etc. Je älter wir werden, umso mehr Möglichkeiten tun sich auf, die das empfinden triggern, nicht zu entsprechen. Unter Freunden, in der Arbeit, in den Beziehungen – man wird immer etwas entdecken, wo man “anders ist”.

In unserer Gesellschaft wird die erfahrene Kritik, die wir als Kinder erlebten weitergegeben, indem wir andere Leute, ihr Aussehen, ihr Verhalten, Situationen und Umstände kritisieren. So vieles was wir tun, dient nichts anderem als der Vermeidung von Scham. Wir verwenden alle Arten von Drogen, stürzen uns exzessiv in Arbeit, lenken uns mental mit allem möglich ab, benutzen Sex als eine Strategie, um uns besser zu fühlen oder dissoziieren uns einfach von unseren wirklichen Gefühlen – wir sind alle sehr kreativ darin, diese ungemütliche Emotion zu umschiffen.

Das fehlgeschlagene Experiment mit der sogenannten “antiautoritären Erziehung” zeigte ganz klar, dass Kinder Anleitung, Regeln und Kritik brauchen. Das wirkliche Problem besteht darin, dass uns niemand beigebracht hat, wie man mit schwierigen Emotionen umgeht. 

Wenn wir uns diesen angestauten, unerlösten Emotionen in uns nicht stellen und die Geschichte nicht untersuchen, die zur monströsen Ausuferung unseres Schamempfindens führte, sind wir dazu verurteilt, immer wieder zu denselben, reaktiven Vermeidungs – und Lösungsstrategien zurückzukehren, die wir durch unsere Kindheit und dem Teenagerzeitalter entwickelt haben und werden immer wieder gleich darauf reagieren. Die Kritik der Eltern ist eine Sache, die Ahnenerbschaft auch, aber was wirklich zur extremen Ausweitung führte, ist die Fortsetzung der elterlichen Kritik und die Kritik, die wir von anderen anhören mussten, in uns selbst. 

Es ist die eigene, persönliche Selbstverurteilung, die sich wie in einem bizarren Theaterstück wieder und wieder um sich selbst dreht, die zu einer Anstauung von Scham und damit zu Blockaden führt. Die wiederholte Selbstkritik führt weiter zu starken Minderwertigkeitsgefühlen und einem Gefühl von innerer Wertlosigkeit. Das reduziert die menschliche Erfahrung zu einer Qual und führt zu einem Gefühl der Gefangenschaft, anstatt es als ein Abenteuer betrachten zu können, dem wir voll und ganz gewachsen sind.

Für die Transformation von Scham ist viel Achtsamkeit für uns selbst notwendig und dass wir eine Selbstreflektive Beziehung mit uns selbst entwickeln. Damit wir in der Lage sind MIT der Emotion zu sein, sie nicht zu verdrängen, um den Kontext klar zu verstehen, sie zu verdauen und neue Rückschlüsse darüber zu ziehen. Diese Schattenarbeit lehrt dich mehr über dich selbst und bringt dich tiefer in Verbindung mit deinen seelischen Wurzeln, als irgendetwas sonst.

Fortsetzung kommt am Samstag

Until next time same station

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@Steven Black

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4 Kommentare

  • Hallo Stefan,

    dieser Bericht gefällt mir von vorne bis hinten! – Jeder der ehrlich zu sich selber ist muss sich hierin wiedererkennen, als das eigene “ Kind “ das wir alle waren, und diejenigen, die selbst Kinder haben, ob als Familie oder alleinerziehend.

    Schamempfinden, das größtenteils “ durch Kritik ausgelöst wird “ wirkt sich tatsächlich weitreichend bis ins Erwachsenen
    Alter aus.

    Bei meinen beiden Töchtern konnte ich die Lernerfahrung machen, 31 und 17 Jahre alt, WIE ich als Vater “ etwas kritisierte an meinen Kindern „…oftmals auch die eigene erlebte Kritik meiner Eltern an mir selbst weiter gegeben, oft nur “ anders verpackt „.
    Bei der jüngsten gelang mir dies schon wesentlich offener,ehrlicher in Gespräche mit einbeziehend. Kritik “ wurde besprochen „, Erklärungen gegeben warum ..wieso…weswegen…Heute habe ich zwei allerliebste gewalt abneigende
    freundliche hilfsbereite Töchter, für mich ein Segen von oben….

    herzlichst Helmut

    Gefällt 1 Person

  • \Johanna\ Hildegard Hornung

    guck mal hier, das is der blog von dem ich gesprochen hab falls es für dich interessant is… lg jo

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  • Hallo, lieber Steven

    seit Wochen schleiche ich um diesen Artikel wie die Katze um den heißen Brei und jedes Mal verbrenne ich mit die Schnauze wieder, wenn ich selbige stets aufs neue versuche da reinzustecken.
    Es tut weh und ich muss immer wieder mitten im Artikel abbrechen und furchtbar wütend auf dich sein, denn wie kannst du nur solche Anklagen schreiben wo du gar nicht weißt wie es ist Kinder zu haben und im Alltag damit umzugehen.
    Nach Erscheinen dieses Artikels konnte ich hier auch gar nicht mehr auf deinem Blog kommentieren und habe mich hier nur noch zeitweise still lesend herumgetrieben.

    Die Wahrheit ist – Du ahnst es vielleicht schon – dass dein Text mich aufs Schmerzlichste an meinen Umgang mit meinen Kindern erinnert. Bin ich ob der pubertären oder schulischen Probleme verzweifelt, finde ich mich völlig hilflos in die Kinder verletzende und kränkende Verhaltensweisen wieder. Ich stehe dann neben mir, sehe mir zu und kann nicht fassen was ich gerade meinem Sohn oder meiner Tochter gegenüber wieder vom Stapel lasse. Was mein dann stetig wachsender Selbsthassmammutbaum mir flüstert, kannst du dir ja denken … und nein, ich will jetzt nicht hören, dass ich ja mein Bestes gebe, dass das nicht so schlimm wäre und die Selbste meiner Kinder das gewählt hätten.
    Bullshit.
    Zur Zeit komme ich vor Sorgen bzgl. meiner Kinder und deren Zukunft fast um, und doch weiß ich, dass das mein eigener Mindfuck ist und diese schei… Gedanken null hilfreich sind. Was zum Geier klebt dann an mir wie ein Batzerl stinkenden Hundehaufens an der Schuhsohle, was ich einfach nicht loswerde?
    Bisher kam ich aus meinen Abgründen immer ganz gut alleine raus und war danach wieder geklärter und gestärkt. Das erste Mal in meinem Leben komme ich nicht einen Schritt weiter, sondern rutsche in alte Verhaltensweisen und Denkmuster zurück, als ob ein einst georteter und an seinen Platz verwiesene Pawlow’scher Reflex hinterfotzigst ein anderes Türchen zu meinem Nicht-Bewusstsein entdeckt hätte und jetzt lüsternd aus allen Rohren feuert.

    Ich lese gute Bücher, höre und sehe Teals Videos, arbeite nach „The Work“, lasse Hellwig auf mich wirken und…. und jage dabei doch nur meinen eigenen Schwanz, während ich höchst erfolgreich den größten und abgelegt geglaubten Mist aufwärme wie ein wohlschmeckendes Gulasch.

    Im Grunde weiß ich, dass alles da ist und ich durchaus einen guten Zugang zu den Themen habe, aber irgendwie stehe ich momentan zur Vorfeiertagseinkaufszeit mitten auf dem Stachus. In meinem Kopf brüllt alles wüst durcheinander und ich bekomme nichts mehr in die Ruhe, geschweigen denn erträglich geordnet.

    Steven, an wen kann ich mich wenden? Ich möchte keine fluffigen Streicheleinheiten und Engelsgequatsche vom Aufstieg oder schmusige Wohlfühlsitzungen (doch, will ich schon, aber ich weiß dass es nichts bringt) – es reicht mir. Solange ich mir selbst das Leben schwer gemacht habe, war das in Ordnung, aber jetzt sind meine Kinder betroffen und da könnte etwas Hilfe vielleicht angebracht sein.

    Alles Liebe
    Petra

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