Sein oder Nicht Sein ist nach wie vor die Frage

geschrieben von Steven Black:

Jeder auf dem Pfad zur spirituellen und persönlichen Weiterentwicklung wird irgendwann auf die Idee treffen, das Ego-Identifikation ein ernsthaftes Hindernis zur spirituellen Entwicklung und mit Anhaftung verbunden ist. Anhaftung ist per se, im spirituellen Zusammenhang, ein ganz böses Wort – ein richtiges Übel. Und die Identifikation mit deiner menschlichen Persönlichkeit ist die schlimmste von allen, die verursacht das Leid. Die Radikallösung hierzu ist – Anhaftung und Identifikation einfach loslassen.

So oder ähnlich, kannst du das in vielen spirituellen Texten finden.

Was genau ist eigentlich Identifikation?

Identifikation ist unter anderem Teil des Prozesses, der zu Identität führt.

  • Identität geht auf das lateinische idem = eben der, derselbe zurück.

  • Im Begriff Identifikation ist das idem mit dem Verb facere = machen verbunden. Identifizieren bedeutet sich zu eben dem machen, also sich damit gleichzumachen.

Identifikation, also die Fähigkeit sich mit Dingen, Menschen, Umständen zu identifizieren, ist eine notwendige und wichtige Funktion, die mehr oder weniger unbewusst vor sich geht. Besonders wichtig ist die Fähigkeit zur Identifikation, wenn wir noch Kinder sind und noch nicht die Fähigkeit zur Selbstreflexion erlernt haben. Als Kinder waren wir abhängig von unseren Eltern und darauf angewiesen, dass sie uns helfen uns selbst zu sehen. In dieser Zeit erzählen uns die Eltern, wer wir in ihren Augen sind und sein sollten und wir internalisieren das einfach 1:1. Wir nehmen das in uns hinein und identifizieren uns einfach damit. Auf diese Weise kommt es zur Herausbildung einer Ichidentität, also einem Selbstbild, indem wir gelernt haben uns für etwas zu halten, aufgrund von Aussagen von Anderen und wie sich jene uns gegenüber verhalten haben. Wir saugen das quasi einfach auf, wie ein Schwamm.

Damit kann man sagen, dass Identifikation Teil des schöpferischen Prozesses ist, der zu Identität und diversen Erfahrungen mit dieser Identität führt.

Diese unbewusste Identifikation ist natürlich ein zweischneidiges Schwert. Wenn wir Sichtweisen und Urteile über uns selbst bekommen, die dazu führen, dass wir uns als entspannte, selbstbewusste, schöne und positiv gestimmte Wesen sehen können – super. Doch das ist ja nicht immer der Fall:

Dr. med. Jochen Peichl, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, schreibt in seinem Buch “Rote Karte für den inneren Kritiker”:

“Psychologen wie der US Amerikaner Jerome Kagan schätzen, dass ein Kind mit 14 Monaten, etwa alle 9 Minuten, ein Verbot oder Kritik von den Eltern hören würde. An anderer Stelle habe ich gelesen, dass ein Kind bis zum 5. Lebensalter schon mehr als 40 000 mal getadelt wurde – ca. 666 mal im Monat und 22 mal am Tag.”

depression-1250870_640Es ist völlig normal, dass unsere Eltern die Entwicklung kommentieren, die wir als Kinder machen. Sie weisen uns auf unsere Fehler und Erfolge hin, die wir in ihren Augen haben und kommunizieren das mit Lob, Kritik oder Strafe. Als Kinder erleben wir unsere Eltern in verschiedenen und teilweise widersprüchlichen Zuständen, wo die liebevolle, nährende Mutter sich manchmal zu einer abweisenden, schlecht gelaunten Mutter verändert. Einer Mutter, die mit uns schimpft, weil wir angeblich irgendwas falsch gemacht haben. Oder ein Vater, den wir manchmal als liebevoll, manchmal als strafend erleben – und vielleicht haben die Eltern uns manchmal auch körperlich gezüchtigt.

Im Laufe unserer Entwicklung erlebten wir alle, wie unsere Eltern durch Liebe, Lob, Kritik, Beschämung, Ablehnung, Schuldzuweisungen oder Strafe auf uns einwirken und uns damit formen – weil wir uns natürlich damit identifizieren. Das ist unvermeidlich und hat Auswirkungen auf unser Leben als Erwachsene. Auswirkungen, weil es oft zu ähnlichen, künftigen Erfahrungen führen wird, da Identifikation auf repetitive Überzeugungsmuster beruht – es basiert auf Wiederholungen. Und Glaubensüberzeugungen neigen nun mal dazu, dass wir Bestätigungen dazu vorfinden. Die Wiederholung einer Erfahrung führt zur Bestätigung und damit zu einer tieferen Überzeugung. 

Je älter wir aber werden, desto mehr entwickeln wir die Fähigkeit zur Selbstreflexion und wir lernen zu unterscheiden. Wir sind nicht mehr darauf angewiesen, dass Identifikation “einfach so” passiert, indem wir etwas übernehmen und sofort internalisieren. Bei der Selbstreflektion spielt die eigene Bewusstheit eine große Rolle und ist somit ein höherwertiger Prozess. Nichtsdestotrotz kann auch Selbstreflexion zu Identifikation führen. Aber dann sind wir selbst es, die etwas über uns selbst glauben, annehmen oder überzeugt sind. Dann machen wir uns mit etwas gleich, was wir für einleuchtend, wertvoll oder hilfreich und überzeugend halten. Wir bekommen die Wahl, mit was wir uns identifizieren können oder wollen. Was natürlich voraussetzt, dass wir uns inzwischen so gut kennen, dass wir mit Bestimmtheit sagen können – NO, that’s not me.

Selbstreflexion ist ein Prozess, wo wir bewusst einen Schritt zurücktreten und unsere Erfahrungen und Erlebnisse genau anschauen. Es erfordert Aufmerksamkeit und achtsame Selbstwahrnehmung. Wir beobachten und nehmen unsere Gedanken wahr, wir achten darauf, wie wir uns mit den Situationen, Menschen und Umständen fühlen. Um daraufhin Entscheidungen zu treffen, die sich richtig anfühlen oder mit denen wir zumindest leben können. Wo unbewusste Identifikation zu einem “über-uns-selbst-wissen” durch Übernahme führt, ist achtsame Selbstreflexion ein Weg, der zu mehr und mehr “über-uns-selbst-wissen” führt.

Das bedeutet allerdings nicht, dass unsere alten Identifikationsübernahmen einfach verschwinden. Die sind hartnäckig und grade wenn wir nicht aufmerksam sind – Schwupps, schon schneien sie wieder herein und tauchen im Bewusstsein auf. Sie haben die Neigung uns in den Arsch zu beißen, wenn wir nicht drauf gefasst sind. Immerhin haben wir meist viele Jahre damit zugebracht, diverse Überzeugungen und Identifikationsmuster zu kultivieren. Da steckt sehr viel Energie und Zeit drinnen ..

Man kann durchaus verstehen, warum einige spirituelle Traditionen der Idee verfallen sind, den ganzen Kram der Prägung und Konditionierung einfach loslassen zu wollen und Desidentifizierung trainieren. 

Husch, husch – geh mir einfach weg damit.

Wirklich, ich verstehe das. Es ist nicht schwer nachzuvollziehen, dass man all den erlebten Schmerz und die unerfreulichen Erfahrungen der Vergangenheit loswerden möchte. Und damit auch alle inneren Kinder und Lebensprobleme einfach über die Kante schubsen will. Jeder, der eine bestimmte spirituelle Entwicklungsstufe erreicht hat und mit der Idee konfrontiert wird, dass er nicht nur Mensch, sondern auch ein ewiges, unsterbliches Wesen ist, tut sich mehr oder weniger schwer damit, diese beiden unterschiedlichen Existenzebenen miteinander in Einklang zu bringen. Die eine Ebene so scheinbar licht – und – liebevoll, die andere so scheinbar schwer und düster. Es kann frustrierend sein und es wirkt so paradox, einerseits seine unsterbliche Natur zu realisieren, sich aber gleichzeitig als dieses limitierte, menschliche Ich wahrzunehmen.

Und konsequenterweise versucht man gleich das ganze Ich loszuwerden und legitimiert die Idee des Loslassens mit der höheren Wahrheit, dass es ja gar kein Ich gäbe.

Realitycheck: Etwas loswerden zu wollen, was einem Kummer oder Unbehagen verursacht, indem man versucht, sich willentlich nicht mehr damit zu identifizieren, ist per se eine Identifikation mit etwas, was man nicht haben will. Eine solche willentliche Desidentifizierung, um etwas loszuwerden, führt lediglich zu einer anderen, neuen Identifizierung – die ganz und gar nicht hilfreich ist. Anders gesagt: Das, was ich an mir ablehne, mache ich stärker und damit wird es mich erst recht in den Arsch beißen!

Truth in service – Wahrheit im Dienste

Man stellt eine höhere “Wahrheit in den Dienst” (es gibt ja gar kein Ich) persönlicher Rechtfertigung – was in dem Fall die Begründung und Legitimierung dafür ist, sein menschliches Ich abzulegen (aufzugeben, loszulassen, zu transzendieren). Das ist “spiritual bypassing” auf ziemlich hohem Niveau. Mit dem Begriff “spiritueller Bypass” ist eine Strategie umschrieben, bei der man spirituelle Wahrheiten, Ideen und Praktiken verwendet, um seine ungelösten emotionalen Probleme, psychologische Wunden und nicht abgeschlossene Entwicklungsaufgaben, zu umgehen oder zu vermeiden.

Dass es auf der höheren Ebene kein Ich gibt, wie wir es als Menschen kennen – geschenkt. Dass dieses menschliche Ich im nächsten Leben ein völlig anderes ist – auch geschenkt. Aber das ist weder eine plausible Grundlage dafür, seine Menschlichkeit abzulegen, noch rechtfertigt es den Versuch. Ich empfehle jedem, der daran zweifelt oder sich einreden ließ, es gäbe jenseits des Menschseins keine Persönlichkeit, die sich ihrer Selbst bewusst wäre, die Bücher von Dr. Michael Newton. Dr. Newton hat über 40 000 Menschen durch eine Hypnosetechnik in Vorleben, Zwischenleben auf der astralen Ebene und zu ihrem Seelenbewusstsein geführt.

Und von was reden die dann, wenn sie den Körper verlassen? Genau, sie sprechen in der ICH-Form, aber als Seele hat man natürlich eine breitere, ausgedehntere Selbstwahrnehmung als ein Mensch.              

Aber jeder von uns hat diesen eingebauten, intrinsischen Sinn für sich selbst. Und der kommt nicht nur davon, dass wir mit einem Körper identifiziert sind oder mentalkörperliche Ich-Überzeugungen haben. Dieser Sinn kommt von ganz Innen, von diesem göttlichen Funken, der wir sind und der sich ein archetypisches Seelenkleid erschafft, um damit in die physische Welt zu tauchen und dort Erfahrungen zu sammeln. Erfahrungen des Menschseins, nicht Erfahrungen von einem NICHTS oder NIEMAND zu sein. Dieser göttliche Funke in uns, der Teil der Quelle ist, speist das ganze menschliche Ichkonstrukt, den Sinn für ICH und den gesamten Körper, Zellen, Organe, etc. 

Ich meine, hey – wir haben uns dieses Leben und unsere menschliche Persönlichkeit selbst zusammengestellt. Wir wählten die jeweilige Kultur und das Land, die genetischen Komponenten und wir wussten auch relativ genau, welches Erziehungssystem dort herrscht und in welche Familiengeschichten wir inkarnieren. Auf dieser Ebene gibt es keine Zweifel wegen Identifikation, sie wird bewusst genutzt, damit wir dieser jeweilige Mensch tatsächlich sein können. 

Und nun, wo ich gecheckt habe, wie viel Verdruss, Schmerz und schwierige Erfahrungen damit verbunden sind – da mag ich das plötzlich nicht mehr? Was für eine Überraschung!

Ist es möglich ohne Identifikation zu existieren?

No, identification matters.

Sicher, Identifikation ist die Ursache von Leid – da haben die Typen schon Recht, die das verkünden. Identifikation ist aber auch die Quelle von Freude, Lust und Spaß, von Abenteuer und vielem mehr. 

Niemand kam hierher, um sich dann einfach mit nichts mehr zu identifizieren – da hätten wir ja gleich “da oben” bleiben können. Wir sind hier um uns auszudrücken und nicht, um uns in irgendein schwarzes Loch zu Verkrümeln und vor uns hin zu “Ooooooohmen”. Als menschliches Wesen ohne eine bestimmte Identifikation ist man hier quasi nutzlos. Wenn du dich nicht grade in irgendeine Höhle zurückziehen willst, um im eigenen Saft brüten zu können, dürfte das schwierig werden. Als Mutter oder Vater von Kindern, wirst du dich eindeutig mit deiner Rolle als Mutter oder Vater identifizieren müssen, sonst bist du einfach nur ein lausiger Elternteil. Das bedeutet ja nicht, als wäre man nur Mutter oder Vater – wir sind keine eindimensionalen Abziehbilder.

Identifikation an sich ist nicht das Problem, ist es nie gewesen. Es ist lediglich ein Tool zur Erzeugung von Erfahrungen. Identifikation ist wie eine Art Klebstoff, der all die Geschichten die wir uns selbst erzählen, wer oder was wir sind, zusammenhält. Wir alle haben tagtäglich Geschichten in unserem Kopf laufen, einen ständigen Rapport zwischen der Inneren und der Äußeren Welt, von Sinneseindrücken und ihren Bewertungen. Und all die Interaktionen zwischen meinem Ich und dem Ich der Anderen. Und wie wir alle Wissen – eine ganze Menge davon ist purer Mindfuck.

Identifikation beruht auf Glaubenssätzen, die durch unsere persönliche Bewertung von Erfahrungen und Eindrücken entstehen – das kann einerseits sehr unbewusst oder bewusst vor sich gehen. Bewertungen, die wir – aus welchen Gründen auch immer, bewusst oder unbewusst für überzeugend halten. Wenn ich glaube, ich bin ein armes hilfloses Opfer, völlig ohnmächtig den Dingen ausgesetzt, dann identifiziere ich mich mit dem Opferstatus. Wenn ich jedoch glaube, ich habe ein Wörtchen mitzureden, wie sich meine Erfahrungen gestalten, dann ist das eine völlig andere Art von Identifikation. Das generelle Problem mit Identifikation ist – dass es das Blickfeld einschränkt und die eigene Wahrnehmung mit blinden Flecken darüber versaut, was da noch alles für Sachen laufen. Beispielsweise kann man in seinem Opferdasein steckenbleiben und sich an diese bestimmte Identität regelrecht klammern.

Andererseits ist Identifikation, wenn auch hartnäckig – wir erinnern uns, es führt zu Identität – eine durchaus flüssige, veränderbare, wandelbare “Größe”.

Wenn wir auf die Welt kommen, identifizieren wir uns als Babys, dann Kind, später als Teenager und irgendwann als Erwachsene. Im Laufe dieser Entwicklung haben wir uns mit vielen Ideen und Ansichten identifiziert und bald darauf einfach wieder abgelegt und uns mit neuen Dingen identifiziert.

Ohne Identifikation gäbe es die Spezies Mensch nicht, wie wir sie heute kennen. Im Laufe der Geschichte ist die Menschheit insgesamt durch viele verschiedene Identifikationsmuster geschritten. Man hat sich als ein Mensch mit seinem Stamm identifiziert. Dann gab es Dörfer, Städte und irgendwann Nationen. Das Leben wurde komplexer, auch innerhalb von Dörfern, Städten und Nationen kam es zur Bildung von Gruppeneinheiten, mit denen man sich ebenfalls identifizierte. Seien es diverse Überlieferungen – Familiengeschichten, historische Erfahrungen des Dorfes, der Stadt oder des Landes. Inklusive aller dazu gehörenden kulturellen Bräuche, Gesetze, Selbstdarstellungen, Feindbilder, Überlebenstaktiken, religiöse oder spirituelle Weltbilder, etc.

Jeder einzelne dieser Entwicklungs – und Lernabschnitte brachte der Menschheit als Ganzes, den einzelnen Menschen und Seelen, neue und andere Erfahrungen. Großteils wurden diese Identifikationen unbewusst und als gegeben übernommen – es gab nicht viel Wahlmöglichkeiten. Entweder warst du in der jeweiligen Gruppe oder nicht. Und wenn du drin warst, trugst du dieselben Überzeugungen und Ansichten. Das ergab einerseits eine bestimmte Form von Sicherheit, andererseits erzeugte es viele Feindbilder und Probleme. 

Selbstreflexion bezüglich Identifikation wurde erst langsam, nach und nach erlernt. Heute beginnen wir zu erkennen, dass wir Kosmopolitisch sein können und dass wir das andere, Fremde nicht fürchten müssen. Mittlerweile haben viele Menschen erkannt, dass sie sich nicht mehr zur Gänze mit dem jeweiligen Land identifizieren müssen. Und wenn man sich damit identifiziert, Deutscher, Österreicher, Schweizer oder sonst was zu sein, dass man trotzdem den Wert anderer Überzeugungen und Ansichten, Kulturen und Bräuche schätzen kann.

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Die menschliche Identität hat heute so viele Möglichkeiten sich auszudrücken, die noch nie zuvor da waren. Wir durchwandern mehr und mehr Individualisierung – zumindest wir im Westen. Damit einher geht natürlich auch eine komplexere Entscheidungsfindung und die genauere Evaluierung von Identifikationsmustern. Und das ist eine Frage der Bewusstheit und auch von Erfahrung. Identifikationen und Glaubensüberzeugungen führen zu Identitäten, diese wiederum führen zu Geschichten, die wir als jene Identität erleben.

Ohne Identifikation – there would be no story, no human personality and no humanity.

Und um das alles noch zu steigern – bereits die Seele ist eine Identifikation. Es ist ein spezifisch ausgesuchtes, archetypisches Seelenkleid, womit sich das “Gottpartikel”, das wir sind, einkleidet, um damit in der Physis Erfahrungen machen zu können. Als diese Seele stellen wir uns eine spezifische Blaupause an menschlichen Persönlichkeitsmustern zusammen. Das bedeutet, die menschliche Identifikationswahlmöglichkeit hat Voreinstellungen, ist quasi gerootet und wir werden uns ein Leben lang entlang dieser Achsen bewegen und uns an ihnen reiben. 

Sich mit seiner Seele identifizieren zu können, ist vermutlich die höchste erreichbare Annäherung an unsere wahre Essenz, die wir als Mensch erreichen können.

Desidentifikation

Hier müssen wir zwei entscheidende Motive differenzieren: Die Desidentifikation von etwas, das wir ablehnen oder nicht möchten (unseren Schmerz, Trauma, emotionale Befindlichkeiten). Und den spirituellen Beweggrund, Identifikationen als das zu durchschauen, was sie sind. Um eine tiefere Realisierung von uns selbst auf die Erde zu bringen.

Desidentifikation von Trauma, Schmerz, etc., ist nicht etwas, was du willentlich erreichen wirst. Desidentifikation in dieser Hinsicht, wenn es denn passiert, ist ein natürlicher Prozess, in dessen Verlauf du meistens gar nicht (bzw., erst hinterher) mitbekommst, dass du dich von bestimmten Überzeugungen verabschiedet und desidentifiziert hast. Man erreicht keine Desidentifikation, wenn man beispielsweise das Mantra von “Ich bin nicht mein Körper, ich bin nicht meine Gefühle und Emotionen, ich bin nicht meine Gedanken und nicht meine Geschichte” rezitiert. Es wird nicht dazu führen, dass dein amoklaufendes Inneres Kind, deine emotionalen Probleme oder Inneren Konflikte, auf magische Weise aufhören zu existieren. 

Das unsere menschliche Identität ziemlich viele Mangelmuster und Abwehrstrategien enthält, ist klar. Aber daran kann man arbeiten. Als jemand, der einige Jahre aktive Transformationsarbeit hinter sich hat, kann ich dir versichern, dass dafür viel innere Arbeit und bewusste Auseinandersetzung mit dir selbst notwendig ist.

Desidentifikation mit bestimmten Umständen, emotional traumatischen Erfahrungen oder schwierigen, inneren Konflikten, geschieht in Phasen, die mehrere Ebenen haben. Der erste Schritt ist, dass man sich seinen Problemen und Herausforderungen stellt und damit den alten, bekannten Weg der Vermeidung aufgibt. Die emotionalen Inhalte sind am wichtigsten und Fühlarbeit ist dabei essentiell. Wenn die emotionalen Zusammenhänge akzeptiert und angenommen wurden, geschieht Integration. Die Desidentifikation von seinem emotionalen Ballast geschieht durch eine Klärung der emotionalen und energetischen Felder, durch Annahme und Akzeptanz, sowie durch die darauffolgende Erkenntnis, dass das eigene Leben nun nicht mehr ausschließlich davon geprägt ist. Desidentifikation passiert im Grunde, wenn das Thema integriert und abgehakt ist. Dazu muss man sich eben eine ganze Menge davon anschauen.

Das wiederum ermöglicht es, neue Überzeugungen über sich Selbst zu entwickeln. Man entwickelt einfach neue Identifikationen ..

Wie schon weiter oben erwähnt – wir haben oft Jahrzehnte damit verbracht, bestimmte Identifikationen und Überzeugungen zu kultivieren – daher dauert dieser Prozess auch seine Zeit. Das persönliche Leben kann von emotionalem Schmerz und inneren Konflikten so eingeengt werden, dass du nichts anderes mehr von dir wahrnehmen kannst und du dich nur mit diesem Schmerz und all den damit zusammenhängenden Inneren Kindern identifizierst. Vor allem wenn das Jahrelang nur “unter den Teppich gekehrt” wurde, aber dein Innenleben verkompliziert hat.

Ich selbst habe einen Identitätscrash hingelegt, der war nicht sehr lustig. In diesem Prozess ist meine Drogenpersönlichkeit gestorben. Bin ICH deswegen gestorben? Nein, was da wirklich gestorben ist, war die Verfestigung meiner Identifikation mit Drogenabhängigkeit. Es fühlt sich allerdings wirklich wie sterben an, wenn dein geglaubter Lebensinhalt und damit alles an Überzeugungen, worauf du dich selbst bezogen hast, in Stücke zerbricht. Am Anfang fühlt sich das wie ein riesiges schwarzes Loch an und du begegnest einer innere Leere in dir. Das ist eine komplette Realitätsveränderung, das braucht einfach seine Zeit, bis du das verdaut hast. Diese Erfahrung hat mir allerdings auch ermöglicht, tief in mein Inneres hinabzusteigen und mich mit dem Ewigen Teil in mir zu verbinden.         

Die Erkenntnis – “Ich bin nicht mein Körper, ich bin nicht meine Gefühle und Emotionen, ich bin nicht meine Gedanken und nicht meine Geschichte” ist wichtig, weil sie uns in die tiefere Wahrheit über uns selbst führt. Von der höheren Metaebene gesehen sind wir nicht unser Körper und all das, aber wir sind eben AUCH Körper, Emotionen und Gedanken. Du kannst nicht deine höhere Ebene von deiner Menschlichkeit, die Seele nicht von der menschlichen Persönlichkeit, das Ewige nicht vom Sterblichen trennen. Es ist eine paradoxe Wahrheit, weil BEIDES absolut stimmig ist.

Ab einem bestimmten Entwicklungszustand ist es absolut richtig, sich die verhärteten Selbstbilder und Identifikationen anzusehen und zu erkennen, wie diese zu den jeweiligen Erfahrungen geführt haben. Im besten Fall führt dies zu einer Aufweichung und Veränderung von Selbstbildern. Du wirst aber trotzdem weitere Selbstbilder basteln, die dann aber ausgewogener sind, weil einem selbstreflexiven Prozess unterworfen und das wiederum führt zu anderer Selbstwahrnehmung und anderen Erfahrungen. Wir sind schöpferische Erzeuger und wir selbst sind das erzeugte. In welcher Art von Identität wir auch alle auftreten mögen, wir selbst haben das erschaffen. Auch wenn du jemand bist, der vielleicht in irgendeiner Höhle in Timbuktu sitzt und unglaublich mystische Erfahrungen sammelt, dann hast du die ebenfalls selber erzeugt. Da ist nicht irgendein wohlwollender Gott, der dir das zuteil werden lässt. Wir selbst sind die Schöpfer unserer Erfahrungen .. und manchmal verselbstständigen sich diese.    

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Aber ohne unsere menschliche Persönlichkeit mit all ihren Identifikationen, gäbe es keine Erfahrungen und keine Geschichten zum schreiben. Wir sind explizit hier, um persönliche Geschichten zu erleben, Erfahrungen zu machen, in allen bunten Farben, die vorhanden sind.          

Um die Worte von Jeff Brown zu zitieren: “Im Herzen unserer Geschichte finden wir unsere persönlichen Identifikationen, unsere emotionale Basis und unsere ungelösten Probleme, die das Wasser auf der Seelen-Mühle sind, die unser spirituelles Wachstum antreibt.”

Die Frage ist also nur – mit was und als was identifizierst du dich? 

Und das ist ein lebenslanger Prozess, weil das Veränderungen unterworfen ist. Wir sind als Menschen multikomplexe und anpassungsfähige Wesen. Wir sind fähig, im Laufe unseres Lebens viele, teilweise sehr unterschiedliche Identitäten anzunehmen und auszubilden. Wir fangen immer wieder an, uns mit anderen Dingen zu identifizieren, bewerten Dinge neu und anders und trotzdem ändert das nicht, wer wir sind. Wir sind nach wie vor ein Ich, das auf bestimmte Situationen reagiert und sich laufend verändern kann.

Der Punkt ist – jeder von uns, wir alle, sind kreative, schöpferische Erzeuger und Erschaffer von Erfahrungen. Wir sind die kreativen Künstler, welche die persönlichen Dramen und die gemeinsamen Geschichten schreiben, um sie dann auf der Bühne der Welt auszuleben. Das große ICH und das kleine Ich, die Seele und die menschliche Persönlichkeit gemeinsam, erzeugen die Realität und die Erfahrungen. Wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir unsere menschliche Persönlichkeit ablehnen und nur die spirituelle Identität favorisieren. Wir wären gut beraten, würden wir beides umarmen und als gleichrangig betrachten.  

Pierre Teilhard de Chardin prägte den Satz: “Wir sind keine Menschen, die eine spirituelle Erfahrung machen, sondern wir sind spirituelle Wesen, die erfahren, Mensch zu sein.”

Ja, das ist richtig. Wir sind allerdings AUCH Menschen, die eine spirituelle Erfahrung durchleben. Es wäre ziemlich sinnlos, dies zu leugnen. Wir sind die Seele und wir sind der Mensch. Das Sein und das Nicht-Sein ist EINS. 

Until next time same station

Quellenachweise:

https://www.sein.de/spiritual-bypassing-10-wege-die-realitaet-zu-vermeiden/

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@Steven Black

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4 Kommentare

  • Steven,
    mein Komment bezieht sich nicht auf irgendwas, aber das was gerade beim Lesen deines neuen Textes geschehen ist, nenne ich ein Wunder!!! Unser Bildschirm hatte seit 1 Woche einen Nadelstreifenanzug an, also er schien defekt, wir konnten kaum richtig lesen, und plötzlich mitten beim Lesen deines Textes blinkte es kurz und der Bildschirm war wieder takko, Hey, verrat mir dein Rezept 🙂
    So, jetzt kannst löschen, nee echt jetzt, ich bin einfach voller Freude darüber und wollt das mitteilen, Yeah! Und dann lese ich weiter deinen Text.
    Liabs Grüßli

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  • Wie immer super geschrieben.

    James van Praag hat diesbezüglich auch ein tolles Buch geschrieben, Abenteuer Seelenreise, ist auch sehr lesenswert.

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